Manch einer mit besonders lebhafter Fantasie mag bei einer „Essbaren Stadt“ an eine
Miniaturstadt aus Pfefferkuchenhäuschen denken, die nach Belieben angeknabbert
werden darf. Gemeint ist allerdings etwas ganz anderes. Zwar handelt es sich dabei
tatsächlich um eine Stadt, die ihren Bürgern den Speiseplan versüßt. Mit ungesundem
Naschwerk hat das aber nichts zu tun, sondern viel mehr mit knackigem Obst und
Gemüse und duftenden Kräutern in Bioqualität.
Andernach, die erste „Essbare Stadt“
Die erste Stadt, die sich als „essbar“ bezeichnete, ist die am Rheinufer gelegene Stadt
Andernach. Ihre Geschichte reicht mehr als 2.000 Jahre zurück, was sie zu einer der
ältesten Städte Deutschlands macht. Und gleichzeitig ist sie in mancher Hinsicht auch eine der fortschrittlichsten.
Alles begann 2010 am Schreibtisch von Lutz Kosack, Mitarbeiter im Stadtplanungsamt
Andernach. Von ihm stammt die Idee zur „Essbaren Stadt“, die das Stadtbild seither so
nachhaltig verändert hat. In Andernach heißt es heute auf öffentlichen Grünflächen
nämlich „pflücken erlaubt“, statt „betreten verboten“. Jeder einzelne der knapp 30.000
Einwohner darf herzhaft zugreifen, wenn pralle Tomaten an den Stauden hängen oder
Äpfel und Pfirsiche verlockend im Herbstlicht leuchten. Was früher überwiegend
ungenutzte, langweilige Grünfläche war, ist heute zu einem Fünftel mit einer Vielzahl an
Gemüsepflanzen, Obstbäumen, Kräutern und wilden Blumen bepflanzt. Dort, wo das
Projekt seinen Anfang nahm, an der alten Stadtmauer von Andernach, lädt sogar ein
kleiner Weinberg TraubenfreundInnen zum Naschen ein. Jeder darf beim Jäten, Ernten
und Gießen mithelfen. Niemand muss, aber viele tun es und haben Spaß daran.
Verantwortlich sind aber vor allem von Gärtnern angeleitete Langzeitarbeitslose. Diese
kümmern sich um die Gärten, erlernen neue Fähigkeiten und qualifizieren sich dadurch
weiter.
Voller Erfolg und Vorbild für andere
Zu dem Projekt „Essbare Stadt“ gab es anfangs eine breite Palette an Bedenken.
Insbesondere aus den eigenen Reihen der Stadt, vereinzelt aber auch vonseiten der
Bürger. Die Ängste bezogen sich etwa auf eventuell zu hohe Kosten, möglichen
Vandalismus oder ein unattraktives Stadtbild durch Nutzpflanzen statt Zierblumen. Die
Bedenken sind längst zerschlagen. Zur Pflege der Beete benötigt Andernach nur noch ein Zehntel der früheren Kosten, da sie weniger arbeits- und materialintensiv ist.
Langzeitarbeitslose haben eine sinnvolle Tätigkeit und an Wertschätzung in der Gemeinschaft gewonnen. Das Stadtklima hat sich deutlich verbessert und das Stadtbild
erinnert manch einen Bürger an einen seiner letzten Italienurlaube. Auch über den
Imagegewinn ist die Freude natürlich groß.
Das inzwischen mehrfach ausgezeichnete Projekt „Essbare Stadt“ ist für Andernach ein
voller Erfolg. Touristengruppen lassen sich gegen eine faire Gebühr durch das Projekt
führen und tragen die Idee in die eigene Stadt. Regionale, seltene Sorten werden kultiviert und verbreitet (jeder darf die Samen im eigenen Garten anpflanzen!). Und auch die urbane Biodiversität wird vorangetrieben – das alles natürlich unter dem Aspekt der Permakultur.
Die Initiatoren des Projekts mussten nicht lange warten, schon kamen Neugierige aus
anderen Städten angereist, um sich anzusehen, wie es die Andernacher machen. Das
Modell „Essbare Stadt“ hat die Stadtgrenzen längst verlassen und Nachahmer gefunden. Hamburg zählt leider noch nicht zu ihnen – was sich aber noch ändern kann! Wie schön es wäre, würde dieser Gedanke bald schon eigene Früchte tragen.
Quellen:
http://www.andernach.de/de/leben_in_andernach/es_startseite.html
http://www.andernach.de/de/bilder/essbare_stadt_flyerneu.pdf